Verlagspolitik in der Zeitungskrise

verlagspolitikVerlagspolitik in der Zeitungskrise

Theorien, Strukturen, Strategien

von Janis Brinkmann

Baden-Baden: Nomos 2018, 986 Seiten, 194 EUR
ISBN 978-3-8487-4653-8

 

(av) Tageszeitungen herauszugeben ist heute ein schwieriges Metier. Seit Jahrzehnten sinken die Auflagen, weder eine Wende noch auch nur eine Stabilisierung ist in Sicht. Das Medium gilt jungen Menschen als eher gestrig, als die eigenen Lebenswelten weitgehend ignorierend und zudem als wenig unterhaltsam. Zwar ist das Vertrauen in die Tagespresse immer noch hoch, doch einen Nutzwert können viele Menschen heute in der Zeitungslektüre nicht mehr erkennen. Die Entwicklung ist zu großen Teilen selbst verschuldet – noch immer werden viele gesellschaftliche Veränderungen in den Verlagsstrategien einfach ignoriert. Aber es haben sich viele auch Rahmenbedingungen des Medienmarktes insgesamt verändert. Auf die Gestaltung dieser Bedingungen Einfluss zu nehmen, das ist das Metier der Verlagspolitik.

Janis Brinkmann hat sich dieses Themas nun in einer knapp 1.000-seitigen Darstellung ange-nommen und untersucht für die Jahre 2000 bis 2014 „das politische Handeln der größten Zeitungsverlage in Deutschland“. Sein Augenmerk richtet er dabei insbesondere auch auf Strategien der Verlagspolitik und auf die Folgen der verlegerischen Einflussnahme auf unsere Gesellschaft.

Die Branche war Epochen lang verwöhnt durch Traumrenditen aus Anzeigen und Vertrieb, die selbst lokale Zeitungsverleger zu Millionären machte. Diese Zeit ist vorbei und ob der großen Fallhöhe verwenden selbst Wissenschaftler gerne den Begriff „Krise“, obschon in den Verlagen weiterhin immer noch besser verdient wird als z.B. in der Wissenschaft. Brinkmann diskutiert den Begriff „Krise“ und seine Instrumentalisierung ansatzweise eingangs des zweiten Teils, wobei er den Begriff letztlich zu wenig reflektiert übernimmt. Doch der Markt ist nicht nur gesättigt, er ist dauerhaft geschrumpft. Damit ist das Bild der Krise falsch, denn Krisen sind immer temporäre Ereignisse.

Wie wird man als Rezensent 1000 Seiten gerecht? Sie gliedern sich in die drei Politik-Abteilungen „Theorien“ (162 Seiten), „Strukturen (147 Seiten) und „Strategien“ (545 Seiten), womit der Schwerpunkt deutlich auf den Strategien liegt. Das achte Kapitel mit vier Fallstudien zur Pressefusionskontrolle, zur Mehrwertsteuerreduzierung, zum Leistungsschutzrecht und zur Tagesschau-App füllt mit 460 Seiten rund die Hälfte des Werkes. Methodisch verwendet Brinkmann unterschiedlichste Verfahren: Dokumentenanalysen, qualitative Inhaltsanalysen und 34 Expertenbefragungen bilden dabei den Kern. Die Dokumente zu den methodischen Details finden sich nicht im Werk, sondern unter diesem Verlagslink: http://nomos-shop.de/34872.

Im Kapitel Theorien wendet der Autor Ansätze der Neuen Politischen Ökonomie, von Regulierungstheorien und des Rent-Seeking auf die Verlagspolitik. Er kommt zu dem Schluss: „Eine tatsächliche oder vermeintliche Strukturkrise der Zeitungsindustrie beantworten Akteure dann mit Forderungen nach Strukturhilfen in Form von regulativen Entscheidungen, die ihnen wettbewerbliche Ausnahmebereiche und damit verbundene nicht-marktliche Gewinne sichern (…)“ (S. 195).

Die Verlagsstrukturen fächert der Autor in Auflagen, Einnahmen und Finanzierung faktenreich auf. Die verschlechterten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen belegt er mit dem Begriff der Strukturkrise, welche spezifische interne Strategien der Verlage nach sich zieht. Der Autor macht sich in der Bewertung dieser Strategien Stimmen zu eigen, die ein „reaktives, defensives Handeln“, eine „strategische Trägheit“ konstatieren, deren Ursachen er in spontanen Interaktionen, gewachsenen Prozesse und kollektiven Entscheidungen sieht. Die Strukturkrise gehe somit mit einer Strategiekrise einher, die publizistische Innovationen und alternative Geschäftsmodelle vermissen lasse.

Ob eine so identifizierte Trägheit auch auf extra-organisationale Strategien durchschlägt, untersucht der dritte Teil anhand von Fallbeispielen. Den analytischen Rahmen spannt der Autor dabei zwischen politischen, publizistischen, juristischen und ökonomischen Strategien auf. Am Ende sind zwölf Muster von Einfluss-Strategien destilliert und ist der Zusammenhang zwischen Krisenhaftigkeit und verstärktem Lobbyismus evident. Die Bilanz verlegerischen Handelns ist in dieser Untersuchung frappierend: aggressiv, symbolisch, ressourcenintensiv, ineffektiv, erfolglos (S. 888f.). Dazu passt der Ratschlag, „zukünftig verstärkt mit dem Florett anstatt mit der Guillotine zu argumentieren“. (S. 895).

Fazit: Diese Studie versammelt eine Fülle von Material zum Zustand und zur Medienpolitik der deutschen Zeitungsverlage, strukturiert es sauber und passt es in einen theoretischen Bezugsrahmen ein. Sie stellt den Zeitungsverlegern damit aber auch ein weitgehend vernichtendes Urteil aus: Zwar wehren sich diese gegen direkte Subventionen, fordern jedoch eine Fülle von wirtschaftlichen Sonderrechten. Und – so schließt der Rezensent – verwenden hierauf Energien, die sie besser in innovative Geschäftsmodelle und Zeitungskonzepte hätten stecken sollen

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