Generation offprint?
Was 20- bis 29-Jährige (nicht) lesen. Eine Readerscan-Studie anhand von drei Regionalzeitungstiteln 2009
von Daniel Gehrmann
Baden-Baden: Nomos 2015, 2308 Seiten, 39 EUR
ISBN 978-3-8487-2396-6
(do) Für Zeitungsverlage ist es inzwischen eine existentielle Aufgabe, gerade jüngere Leser als Abonnenten der regionalen Tagespresse zu erhalten und zu gewinnen. „Digital Natives“ gelten als dem gedruckten Wort zunehmend entfremdet. Daher spürt der Autor im Rahmen seiner Journalistik-Diplomarbeit der Frage nach, mit welchen Themen sie eigentlich noch regional von der Tageszeitungen zu erreichen sind. Hierzu nutzt er Daten der Firma Readerscan aus einer 2009 breiter angelegten Studie zu Leserinteressen für die drei Regionalzeitungen DEWEZET, Pyrmonter Nachrichten und Schaumburger Zeitung.
In der Readerscan-Studie registrierten ausgewählte Abonnenten mit einem elektronischen Textmarker die von ihnen während der alltäglichen Lektüre ihrer Zeitung gesehenen bzw. gelesenen Textpassagen. Nach den ersten Tagen der Eingewöhnung folgten drei Messwellen von jeweils drei Wochen. Das Leseverhalten von 27 Personen aus der Altersgruppe 20 und 29 Jahren wurde vom Autor analysiert. Die Ergebnisse sind insofern in ihrer Gültigkeit begrenzt, können aber – bedenkt man auch den Aufwand des Verfahrens – dennoch Tendenzen aufzeigen.
Ein stark selektives Leseverhalten von Tageszeitungen bestätigen bereits ältere Studien. Die Readerscan-Studie hat über alle Altersgruppen hinweg eine durchschnittliche „Lesequote“ von gerade einmal 13,13 Prozent ermittelt. Betrachtet man nur die jüngere Gruppe, so hat sie nur 6,14 Prozent der einbezogenen Zeitungsbücher gelesen, die Gruppe der 46- bis 59-Jährigen hingegen 16,29 Prozent.
Gehrmann wertet die Daten nach unterschiedlichen Kriterien aus: Sowohl entlang der Zeitungsbücher, aber auch nach journalistischen Darstellungsformen (u.a. Reportage, Bericht, Portrait). Auch die Faktoren Wochentage, Platzierung, Bilder und Grafiken werden in ihrer Wirksamkeit überprüft, haben aber wohl nur begrenzten Einfluss.
Obgleich auch der Politikteil von den jüngeren Lesern relativ stark beachtet wurde, führen die Lokalteile die Lesequoten an, sie wurden noch vor der Titelseite am besten gelesen. Der Regionalteil folgte an dritter Stelle. Diesem verstärkten Interesse am Lokalen stand in der jüngeren Zielgruppe ein deutliches Desinteresse bei allen Themen gegenüber, bei denen sie keinen Bezug zu ihrer Lebenswelt erkennen. Dies gilt auch für überregionale und internationale Themen. Hier ist die (Lokal-) Zeitung für die jüngere Zielgruppe offenbar keine relevante Quelle. Insgesamt lasen die Jüngeren stark selektiv, was sich vor allem darin äußerte, dass sie auch Dauerthemen nur sehr eingeschränkt verfolgten. Konkret interessierten sie sich hingegen besonders für Nachrichten mit Sensations- und Überraschungswert (Verbrechen, Gerichtsreportagen).
Der Autor diskutiert als Abschluss seine Ergebnisse im Kontext der veränderten Rezeptionsgewohnheiten durch das Internet und die Globalisierung. Eine immer stärkere „Partikularisierung der Interessen“ in der Gesellschaft konstatiert er als „fatal“ für die Zeitungen und deren traditionelle Rolle als „Generalisten“. Dennoch vertritt er – und das erscheint als Widerspruch – die These, dass man aus dem Leseverhalten ein Zeitungskonzept für Jüngere nicht unmittelbar ableiten sollte: Eine solche zielgruppengemäße Zeitung wäre dünner, provinzieller und boulevardisiert und würde die älteren Zielgruppen verprellen. Die Studie mündet insofern nicht in neue Konzepte für „verjüngte“ oder nach Zielgruppen differenzierende Ausgaben. Obgleich der Autor für das Konzept „Chronist des Geschehens“ nur begrenzt Interesse entdeckt und mehr „Bezug zur Lebenssphäre der jungen Leser“ als „Herold neuer Entwicklungen“ einfordert (210/212).
Fazit: Eine handwerklich saubere Analyse, die bisherige Erkenntnisse zu den Leseinteressen jüngerer Menschen erneut bestätigt. Die Einordnung der Ergebnisse hätte etwas mutiger ausfallen können, rüttelt sie doch nicht am Konzept der einen „Zeitung für alle“.