Von der Stern-Schnuppe zum Fix-Stern
von Tim Tolsdorff
Köln: Herbert von Halem Verlag 2014. 564 Seiten, 34 EUR.
ISBN 978-3-86962-097-8
(vo) Das Werk hat zum Ziel, die „Dekonstruktion des Mythos Stern“ (S.69) zu betreiben. Anknüpfungspunkt sind Henry Nannen als Schöpfer der Illustrierten „Stern“ sowie die kurzzeitig NS- bestehende NS-Filmillustrierte „Stern“. In einem häufig recht aufmerksamkeitsheischenden Duktus will der Autor auch „Erkenntnisse über den Einfluss erfolgreicher NS-Propagandisten bei der Gründung des neuen Stern gewinnen“ (S. 32). Hierzu wird das journalistische Personal des „Stern“ durchleuchtet und werden Inhalte und formale Gestaltung der beiden Titel verglichen.
Die Gründungsgeschichte des „neuen“ Stern steht also im Zentrum und der Autor wird nicht müde, zu betonen: Es ist eminent wichtig, sie zu klären, weil sie systematisch geheim¬ gehalten wurde, um Nannen nicht zu beschädigen: „Eines hat Henri Nannen jedoch immer verschwiegen: Als publizistische Marke besteht der Stern nicht erst seit 1948, sondern bereits seit 1938.“ Im Werk finden sich diverse Anwürfe Richtung Verlag und Nannen, auch Tadel gegenüber Biographen und Forschern, die frühere Illustrierte „Stern“ nicht genannt oder aufgefunden zu haben.
Aber, ist das so wichtig und – ist das auch richtig? Gründungsmythen gibt es einige im Verlagswesen, und Nannen war eitel und ein begnadeter Geschichtenerzähler, auch autobiographisch. Peter de Mendelsohn bringt in seinem Werk „Zeitungsstadt Berlin“ ein Foto des alten „Stern“ und nennt ihn „eine läppische Filmzeitschrift“. Erich Kuby weist schon 1983 einem zweiten Journalisten eine Schlüsselrolle bei der Neugründung zu: „Einer der Profis, die aus ‚Zick-Zack‘ eine Zeitschrift für Erwachsene zu machen entschlossen waren, hieß Karl Beckmeier“. Und Nannens Biograph Hermann Schreiber formuliert zur Erfindung des Stern: „Aber vielleicht ist ja auch sie nur eine von seinen schönen Geschichten“. Schließlich der Stern-Jubiläumssonderdruck vom 25.12.1978, S.4: „Nun waren in den letzten Wochen einige neue Leute … eingezogen. Alte Hasen, Ullstein-Profis. (…) Da diese Leute immerzu von ihrer Ullsteinzeit redeten … könnte es durchaus sein, daß dieser oder jener einmal wähnte, er habe ein Artikelchen geschrieben für eine Filmzeitschrift, die ‚Stern‘ hieß. Hat da jemand ‚Stern‘ gesagt? Kein anderer als Nannen hat STERN gesagt, und dabei blieb’s.“ Von diesen Zitaten erfahren die Leser des Werkes leider nichts – trotz 554 Seiten. Insofern hätte es gut getan, eine unaufgeregtere Analyse zu lesen.
Im Werk ist die Pressepolitik der NS-Zeit und der Lizenzzeit gut zusammengetragen, auch die Biographien zu den Beteiligten sind weitgehend sorgfältig recherchiert. Weiterhin stört aber ein penetranter Enthüllungs-Duktus. Dass es auch anders geht, hat 2006 Christian Sonntag in seinem lesenswerten Werk „Medienkarieren“ bewiesen. Schließlich: Trotz ausführlicher Vergleiche bleibt offen, wie weit die Gruppe um Nannen Anregungen aus „Der Stern“ oder aber allgemein aus Illustrierten-Vorbildern in den USA und Deutschland bezogen haben.