Illustrierte Zeitschriften um 1900
Mediale Eigenlogik, Multimodalität und Metaisierung
hrsg. von Natalia Igl und Julia Menzel
Bielefeld: transcript Verlag 2016, 420 Seiten, 44,99 EUR
ISBN 978-3-8376-3659-8
(do) Dieser Sammelband dokumentiert eine gleichnamige Tagung an der Universität Bayreuth vom März 2014. Dort haben sich Forscher zusammengefunden, die sich mit historischen Illustrierten Zeitschriften beschäftigen und dabei eine Verknüpfung literatur- und medienwissenschaftlicher, bild- und sprachwissenschaftlicher, kunst- und kulturwissenschaftlicher Ansätze anstreben. Eine gemeinsame Basis dafür bilden linguistisch-mediensemiotische Grundlagen, die im ersten von drei Teilen des Bandes verhandelt werden. Der zweite Teil widmet sich dem Medium Bild in seinen historischen Kontexten und versucht Perspektiven einer historischen Zeitschriftenforschung zu entwickeln. Der dritte Teil befasst sich mit der Medien- und Gattungsreflexion in bzw. zu Illustrierten Zeitschriften.
Die hier versammelten zwölf Beiträge sind mit ihren theoretischen Überlegungen und ihren praktischen Analysebeispielen deutlich in den Geisteswissenschaften verortet: So wird hier etwa betont, dass Zeitschriften „Mehr als Text mit Bild“ (so der Titel des Beitrags von Hans-Jürgen Bucher) seien und auch Layout, Papiersorte, Drucktechnik, Grafische Elemente etc. die Rezeption beeinflussen. Auch gegen elitäre Kunstauffassungen und die Geringschätzung von „Illustrierten“ wird mehrfach Einspruch erhoben. Das zeigt einen Bedarf an Legitimation des Forschungsinteresses in den eigenen Reihen, der in der stärker sozialwissenschaftlich ausgerichteten Kommunikationswissenschaft so nicht besteht. Dennoch hat gerade diese Kommunikationswissenschaft in den letzten Jahrzehnten recht wenig zur Erforschung der historischen aber auch der modernen Zeitschriften beigetragen. Insofern ist es sehr erfreulich und in etlichen Aspekten auch vielversprechend, dass sich hier nun eine linguistisch-semiotisch ausgerichtete „Zeitschriftenforschung“ etabliert.
Hans-Jürgen Bucher umreißt in seinem Beitrag sowohl das Forschungsfeld als auch die Terminologie. Insbesondere der Begriff der „Multimodalität“ als Ausdifferenzierung von Präsentations- und Darstellungsformen wird zur Schlüsselkategorie des Verständnisses und der Beschreibung medialen Wandels. Bei den historischen Zeitschriften greift er etwa die Entwicklung der Bebilderung von der Illustration zur Verwendung fotografischer Bilder heraus, die „den modalen Haushalt von Printmedien in ganz grundsätzlicher Weise“ (S.51) verändert hätten und differenziert „Abbildungstypen“ und „Visualisierungshandlungen“ (S.54).
Daniel Pfurtscheller vertieft mit dem Begriff „sozialsemiotische Modalitätsforschung“ noch einmal diesen Ansatz, „dass in der Kommunikation nicht nur Sprache von Bedeutung ist, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Zeichenressourcen“ (S.76). Zwar sei diese Einsicht nicht neu, „dennoch hat sie die Wissenschaft lange Zeit nicht gekümmert.“ (ebd). In seiner Analyse von serieller Bildverwendung in der Wochenzeitschrift „Das Interessante Blatt“ aus dem Jahrgang 1986 belegt er, wie mit dem Einsatz von Illustrationen der „kommunikative Handlungsspielraum des Printmediums Zeitschrift“ (S.99) ausgeweitet wird und zieht hier eine Analogie zu heutigen Verlängerungen in digitale Inhalte per QR-Code oder Link.
„Grundzüge einer kulturwissenschaftlichen Medienanalyse“ entwirft Thomas Metten, indem er jede Kommunikation als „ästhetische Praxis“ definiert: Wahrnehmbar-machen und Wahrnehmen seien hierin verknüpft (S.110) und Kommunikation gründe in einem „Zusammenspiel der verschiedenen Sinne“ (S.111). Aus semiotischer Sicht sei Kommunikation „kein Geschehen der Bedeutungsübertragung“ und der Sinn konstituiere sich „erst in der Wahrnehmung durch ein anderes Subjekt“ (S.113), was aus Sicht der kommunikationswissenschaftlichen Rezeptionstheorien bereits schon länger so gesehen wird. Metten demonstriert am Beispiel einer Doppelseite aus „National Geographic“ (Jg. 2013) die Komplexität der hier vorgesehenen Analyse und damit auch die Grenzen der Operationalisierbarkeit des Ansatzes: Bei Einbeziehung aller visuellen und textuellen Gestaltungsfaktoren ergibt bereits die Analyse einer Zeitschriften-Doppelseite eine mehrseitig Abhandlung. Gustav Frank stößt in seinem Plädoyer für eine Theorie der Zeitschrift auch auf das Problem „der enormen Korpora, denen die Zeitschriftenforschung sich konfrontiert sieht“ (S.177). Er will dennoch die Methodenfrage bis zur „Gegenstandskonstitution“ vertagen. Seine Anforderungen an eine Zeitschriftentheorie: 1. Soziokulturelle Situierung 2. Radikale Historisierung bzw. funktionsgeschichtliche Perspektive 3. Radikale Konkretisierung sind durchaus anschlussfähig an bereits bestehende Überlegungen zur Abgrenzung des Gegenstandsbereichs. Die übrigen Beiträge des Sammelbandes befassen sich mit Teilaspekten (z.B. Anzeigen in Zeitschriften der Jahrhundertwende) oder Spezialanalysen (z.B. Gedicht-Bild-Kombinationen) und zeigen damit ein Spektrum auf, das eine Zeitschriftenforschung haben könnte.
Insgesamt verwundert es, wie es den Forschern gelingt, die kommunikationswissenschaftliche Zeitschriftenforschung hier bei nahezu allen Fragestellungen nicht zur Kenntnis zu nehmen und den Ansatz allein aus dem heraus entwickeln zu wollen, was ihre geisteswissenschaftlichen Fächer an Rüstzeug aufbieten. Bei der Größe des Forschungsfeldes ist sicher für alle Wissenschaften Platz, aber mehr Kooperation würde sicher auch mehr Effizienz bedeuten.
Fazit: Der Schwerpunkt dieses Bandes liegt deutlich auf der Entwicklung und Diskussion semiotisch-methodischer Aspekte, weniger auf der biografischen Erforschung der behandelten Zeitschriften.