Kopf oder Bauch?
Erfolgsfaktoren für die ganzheitliche konzeptionelle Steuerung von Zeitschriften
von Stefan Gröner
Baden-Baden: Nomos 2015, 298 Seiten, 59 EUR
ISBN 978-3-8487-2154-2
(vo) Für die Pressebranche gibt es wenig Management-Literatur, umso mehr Aufmerksamkeit erweckt diese Dissertation. Der Titel verspricht Erfolgsfaktoren für die Steuerung von Zeitschriften, führt jedoch eher in die Irre. Tatsächlich ist es eine gründliche Fallstudie zur Leserforschung und dem nachfolgenden Umgang mit den Ergebnissen im Verlag. Im Kern geht es um „die Entscheidungsprozesse bei der redaktionell-thematischen Ausrichtung vor allem in Bezug auf das Zusammenspiel zwischen der Redaktion und dem Management“ (S. 144). Die Studie entdeckt dabei Fallstricke und Hindernisse in der Erhebung von Leserinteressen und redaktioneller Umsetzung.
Das Werk gliedert sich in vier Hauptkapitel: theoretische Grundlagen, methodisches Vorgehen, empirische Analyse des Entscheidungsverhaltens in einem Verlag auf der Basis von Leserbefragungen (1991-2002) und Leitfadeninterviews mit Verlagsentscheidern, schließlich Erklärungsansätze für das beobachtete Entscheidungsverhalten. Somit liegt der empirische Untersuchungszeitraum mittlerweile über eine Dekade zurück.
Der Autor konstatiert eine „Krise im Zeitschriftenmarkt“ seit Anfang des Jahrtausends (S.19). Tatsächlich scheint der Markt inzwischen zwar gesättigt und ist rückläufig, aber er ist nicht krisengeschüttelt. Gültig hingegen der Ausgangspunkt: Das Bestehen am Markt hängt von der laufenden Justierung einer Zeitschrift an den Bedürfnissen und Erwartungen ihrer Leser ab (S.21). Diese Optimierungsprozesse auf Erfolgsfaktoren hin zu untersuchen ist das zentrale Interesse der Arbeit.
Im Kapitel „Theoretische Grundlagen“ entwickelt der Autor schlüssig als „konsistente redaktionell-thematische Ausrichtung (…) die positiven Ausprägungen des Dreiklangs von generellem Themeninteresse, dem Grad der Themenabdeckung sowie der tatsächlichen Themennutzung in der Zeitschrift“ (S.33). Welche Determinanten allerdings das Entscheidungsverhalten in Verlagen prägen, kann der Autor durch die Literatur nicht klären – denn „Entscheidungen in Organisationen sind also komplexe und meist von hoher Unsicherheit geprägte Prozesse“ (S. 69) und zudem unterscheiden sich in der Praxis die Organisationsstrukturen in Verlagen kräftig.
Das verwendete empirische Material wird vom Autor keiner Zeitschrift zugeordnet, erkennbar ist es aber das wöchentlich herausgegebene Liboriusblatt, eine „katholische Wochenzeitschrift für die ganze Familie mit breiter Themenpalette“. Insofern ist es – auch wenn der Autor anderes meint (S. 150) – eben keine „typische Publikumszeitschrift“, sondern eine kirchennahe Publikation der Bekenntnispresse in Zeitungsausstattung.
Die wiederholten Leserbefragungen wurden als Copytests mit N=150 quotierten Abonnenten face-to-face durchgeführt. Dies führt in der Ausdifferenzierung der Ergebnisse des Öfteren zu recht kleinen Fallgruppen sowie ganz faktisch zu Konfidenzintervallen in der Größenordnung +/- 7 Prozent. Zudem bezogen sich dabei die Fragen nicht nur auf das vorgelegte Heft, sondern die Seiten wurden teilweise exemplarisch vorgelegt mit der Antwortbitte, „welche Themen Sie grundsätzlich gerne lesen, wenn Sie ganz allgemein an Zeitschriften denken“ (S. 162) – eine problematische Abstrahierung in der Interviewsituation. Auch ist das Vorlegen einer „älteren Ausgabe, die als Beispiel dienen soll“ (Äußerung des Interviewers gegenüber den Befragten, S. 165) in einem Copytest ist zumindest ungewöhnlich.
Diese methodischen Probleme thematisiert der Autor allerdings gar nicht. Er überprüft – unter Hinzuziehung von 9 Leitfadeninterviews mit Verlagsmitarbeitern – wesentlich, wie konsistent das Entscheidungsverhalten bezogen auf verschiedene Themenfelder war, von denen es bei einigen Feldern klare Fehler und Versäumnisse hinsichtlich der Heftjustierung gab.
Im Ergebnis stehen vier wesentliche Ursachen für diese Inkonsistenzen: Erstens Probleme der Interaktion durch unklare und unvorteilhafte Informations- und Entscheidungsstrukturen. Zweitens das Herrschaftswissen und die Definitionsmacht der Chefredaktion. Drittens Verlegerentscheidungen und Herausgeber-Vorgaben. Und schließlich viertens ein generelles Klima des Bewahrens, zu dem selbst das beauftragte Marktforschungsinstitut beigetragen hat.
Das Werk insgesamt ist zweifellos als originäre Fallstudie ein Gewinn für die Presseforschung, weil es eine reale Bemühung redaktioneller Konzeptoptimierung mittels Leserforschung über einen längeren Zeitraum sorgfältig rekonstruiert und analysiert. Dabei hätte sich der Rezensent allerdings gewünscht, dass der Autor die Ergebnisse nicht streng linear entlang dem Erarbeitungsprozess präsentiert. Dies mindert die Lesefreundlichkeit erheblich, ist aber leider gerade bei Dissertationen häufig anzutreffen. Die Seiten 264 bis 280 fassen aber schließlich die wesentlichen Befunde kompakt zusammen.