
Alltag in den Medien – Medien im Alltag
hrsg. von Jutta Röser und Tanja Thomas und Corinna Peil
Wiesbaden: VS Verlag 2010. 317 Seiten, 34,90 Euro, ISBN 978-3-531-16778-7
(vo) Dieser Band geht zurück auf eine gleichnamige Tagung im Oktober 2006 an der Universität Lüneburg, deren Vorträge verschriftet und aktualisiert wurden. Der Aufbau des Werkes ordnet die insgesamt 16 Beiträge entsprechend dem Titel in zwei Hauptkapitel ein.
Alltag in den Medien behandelt die Themen Reality-TV (u.a. Castingshows und „Aktenzeichen XY“), Geschlechterinszenie- rungen in Serien (u.a „Deserate Housewives“ und „The L Word“) und Alltagsbezüge (Realitätskonstruktion, Lebensnähe).
Medien im Alltag befasst sich mit der Rezeption von Printmedien (Frauenzeitschriften, Männermagazine, BILD-Zeitung), digitalen Medien (Internetnutzung räumlich zu Hause, „Hello Kitty“, Migrationsgemeinschaften) und schließlich der Mediennutzung von Frauen in Führungspositionen sowie von Arbeitslosen.
Der Band ist insgesamt lesenswert, denn er betrachtet die Verwobenheit von Alltag und Medien weitgehend aus Rezipientensicht. Hat sich der Leser erst einmal durch die Einleitung durchgekämpft, die das hohe Lied der Cultural Studies anstimmt, so finden sich einige interessante Aufsätze: Zwei Beispiele: Jugendliche sehen Castingshows nicht etwa, weil sie selber von einer Star-Karriere träumen, ihnen geht es um das Thema Authentisches Selbst und die faire Behandlung. Das Internet zerstört den gemeinsamen Fernsehabend durch die räumliche Trennung von Desktop und Fernseher. Mann und Frau müssen einen neuen Modus finden, wenn er/sie oder beide abends lieber online surfen wollen.
Mit Presseerzeugnissen befassen sich drei Beiträge, der erste behandelt Frauenzeitschriften. Leider steht hier mal wieder „Brigitte“ als pars pro toto. Dem wird die „Brigitte“ aber gottseidank nicht gerecht. Erkenntnisse über die Rezeption der Zeitschrift brachten 19 Tiefeninterviews bei vorgelegtem Heft. Die Ergebnisse zeigen auch: Die Lektüre von Brigitte ist in Alltagsroutinen eingebunden, teilweise erfolgt sie habitualisiert und signalgebend: „Ich will jetzt ungestört sein“.
Männermagazinen wird ein anderer Beitrag gewidmet. Gerüstet mit Bordieus Habitus-Konzept wurden 39 männliche Leser von Playboy, Matador, GQ und FHM in getrennten Gruppendiskussionen befragt, warum sie zu Männerzeitschriften greifen. Die Männer schreiben den Magazinen geringe Bedeutung zu, sie werden als Unterhaltungsmedien gelesen. Aber sie dienen auch dem Identitätsmanagement, indem sie einen explizit männlichen Raum schaffen.
41 Frauen sowie Männer gaben in sechs Gruppendiskussionen Auskunft über ihre Lektüre der BILD-Zeitung. Kaufen und Lesen der BILD-Zeitung ist zumeist eine in tägliche Routinen eingebettete Gewohnheit. Die Zeitung ist verständlich und bietet eben auch Nutzwert und Gratifikationen; die Leser können sich an den Themen und Diskursen in der gedanklichen Beschäftigung abarbeiten. Den Lesern ist die gesellschaftliche Problematik von BILD sehr wohl bewusst. Entsprechend ambivalent sind ihre Bewertungen und Rezeptionshaltungen.
Für Studenten oder als Lehrbuch ist dieser Sammelband weniger geeignet. Wer sich aber mit dem Rezeptionsverhalten von Medien beruflich regelmäßig befasst, findet hier anregende Sichtweisen jenseits der soziodemographisch geprägten oder auf Milieus konditionierten Mainstream-Veröffentlichungen.