Gratis-Tageszeitungen in den Lesermärkten Westeuropas
(=Stiftung Presse-Grosso, 5)
von Michael Haller
Baden-Baden: Nomos 2009. 216 Seiten, 48 Euro, ISBN 978-3-8329-4828-3
(vo) Seit 1995 gibt es kostenlose Pendlerzeitungen, auch Gratis-Tageszeitungen genannt. Zunächst in Skandinavien, inzwischen weltweit. Michael Haller untersucht die Situation in Westeuropa mit einem Fokus auf Auswirkungen auf die Kaufpresse. Die Untersuchung wurde Anfang des Jahre 2009 abgeschlossen. Der Hauptteil gibt zunächst eine Übersicht über den Markt in Europa. 2007 erschienen weltweit 200 Titel in 50 Ländern, wobei die Distribution häufig über öffentliche Verkehrssysteme hinaus geht. Mehr als zwei Drittel der Titel erscheinen in Europa, ihre verbreitete Auflage betrug 2007 rund 25 Mio. Exemplaren. Sie erreichten in ihren Zeitungsmärkten rund 20 Prozent Marktanteil nach verbreiteter Auflage. Der Wettbewerb zwischen Gratistiteln findet nicht über Inhalte, sondern über den effizientesten Vertriebsweg statt.
Ausführlich schildert das Werk die Entwicklung in Großbritannien, Frankreich, der Schweiz, Österreich und Dänemark. Jedes Kapitel wird durch eine Zusammenfassung abgeschlossen. Das letzte Kapitel „Zusammenfassung und Perspektiven“ bündelt die verschiedenen Aspekte systematisch. Gratis-Tageszeitungen sind ein neuer Pressetyp. Sie sind keine Erfolgsgeschichte, zwei Drittel haben den Break-even 2008 nicht erreicht, die Liquidationen steigen. Der Distributionsaufwand ist erheblich, daher sind die Titel auf Metropolregionen begrenzt. Bei einem mittleren Umfang von 24-48 Seiten sind 70 Prozent redaktionell gefüllt. Kleine Redaktionen führen zu hohen Anteilen von Presse- und PR-Meldungen. Überwiegend fehlen Meinungsbeiträge. Gut positionierte Blätter entwickeln Markenfamilien mit Wochen- und Monatstiteln und versuchen, ihre Verfügbarkeit zu verknappen. In zahlreichen Regionen ist der Lesermarkt mit Gratispresse übersättigt und der regionale Anzeigenmarkt nicht hinreichend ergiebig. Ihren Hype haben daher Gratistitel schon wieder hinter sich.
Einige Untersuchungen zeigen, dass die Substitutionseffekte zwischen Gratis- und Kaufzeitungen gering sind. Die Verlage der Kaufpresse sind skeptisch. Aber: Jede zweite Gratiszeitung erscheint in einem Verlag, der auch eine Kaufzeitung verlegt. Und die erfolgreichsten Gratistitel Westeuropas werden unter Beteiligung von regionalen Zeitungshäusern herausgegeben. Der Autor kommt zudem zu dem Ergebnis, dass die Reichweitenrückgänge der Kaufzeitungen nicht den Gratistiteln anzulasten ist. Gerade die „Zeitungsverweigerung“ der Jüngeren hat andere Ursachen: Aufbereitung, Sprache, Bindungsunlust, Kosten.
Das Werk ist insgesamt eine sorgsam gearbeitete und auch durch die Zusammenfassungen gut lesbare Studie.