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Rezensionen zu Neuerscheinungen ab 2009

 

     
    Dernbach, Beatrice:
    Die Vielfalt des Fachjournalismus. Eine systematische Einführung
    Wiesbaden: VS Verlag 2010. 304 Seiten, 24,95 EUR, ISBN 978-3-531-15158-8
      (vo) Text folgt in wenigen Tagen.
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    Stöckel, Sigrid und Wiebke Lisner und Gerlind Rüve (Hrsg.):
    Das Medium Wissenschaftszeitschrift seit dem 19. Jahrhundert. Verwissenschaftlichung der Gesellschaft - Vergesellschaftung von Wissen
    Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2009. 254 Seiten, 34 EUR, ISBN 978-3-515-09342-2
      (vo) Text folgt in wenigen Tagen.
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    Koschnick, Wolfgang J.(Hrsg.):
    FOCUS-Jahrbuch 2010. Schwerpunkt: Der Stand der Werbewirkungsforschung
    München: Focus Magazin Verlag 2010. 658 Seiten, 49,90 EUR, ISBN 3-98710887-4-3
      (vo) Auch das diesjährige Jahrbuch hat wieder ein hochaktuelles Thema. Methoden der Werbewirkungswirkung wurden schon immer kontrovers diskutiert. Neue implizite Techniken können den Sprung zwischen beobachtbarem Verhalten und interpretativem Schließen nicht auflösen. Entsprechend unterschiedlich sind die Positionen der Forscher und Praktiker in diesem Sammelband. Bereits 1957 schrieb Vance Packard in seinem Bestseller: "Die Motivanalytiker … stellen ein faszinierendes und zuweilen beunruhigendes Gespann dar. Die Ergebnisse ihrer Manöver zeigen, dass es mit ihrer Unfehlbarkeit noch gute Weile hat." Nach Ansicht Koschnicks scheinen die impliziten Verfahren der aktuellen Hirnforschung nicht grundsätzlich weiter. Wir wissen: Vieles bleibt den Menschen unbewusst. Doch dies sind zumeist motorische Fähigkeiten, bei der Wahrnehmung hingegen gelingt der Nachweis völlig unbewusster Vorgänge nur über Indikatoren (Reaktionszeiten, Gehirnaktivitäten, Blickverläufe).
      Auch der langjährige Agenturenchef Robert Schützendorf formuliert seine Zweifel am Fortschrittswert der unterschiedlichen Verfahren.

      Die verschiedenen Autoren beleuchten das Thema in unterschiedlicher Tiefe. Sicherlich finden sich hier vielfältige Erkenntnisse für jeden, der über einzelne Methoden und ihre Fallstricke mehr erfahren möchte. Einigen der diesjährigen Beiträge fehlt aber leider ihr stringenter Aufbau. So wird es streckenweise eine Qual zu lesen und die Botschaften zu entlocken.

      Ausgehend von der generellen Erkenntnis, dass sich jeder Mensch seine Umwelt auch konstruiert, geraten in den Beiträgen immer auch explizite, reflektierte Wahrnehmungen in den Vordergrund. Ihr Stellenwert gilt allgemein als höher und dauerhafter. Viele Erkenntnisse der Hirnforschung dienen der Erklärung explizierter Einstellungen. Und die intensivsten Wirkungen entfalten direkte positive Erlebnisse mit den Produkten. Letztlich verkünden daher viele der neuro-gesteuerten und auf apparative Labor-Experimente bezogenen Beiträge zwischen den Zeilen auch: Werbung wirkt, wenn sie kreativ ist, auffällig und schlüssig mit klarem Bezug zum Produkt daherkommt und wenn sie daher hinreichend Aufmerksamkeitszeit des Betrachters findet.

      Dieses etwas bodenständiger festzustellen scheint auch das Ziel der Verlagsstudien zu sein. Seien es Trackingstudien, sei es das neueste VDZ-Projektes AIM - Ad Impact Monitor. Diese Methoden und ihre Ergebnisse werden im Band ausführlich vorgestellt.
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    Röser, Jutta und Tanja Thomas und Corinna Peil (Hrsg.):
    Alltag in den Medien - Medien im Alltag
    Wiesbaden: VS Verlag 2010. 317 Seiten, 34,90 Euro, ISBN 978-3-531-16778-7
      (vo) Dieser Band geht zurück auf eine gleichnamige Tagung im Oktober 2006 an der Universität Lüneburg, deren Vorträge verschriftet und aktualisiert wurden. Der Aufbau des Werkes ordnet die insgesamt 16 Beiträge entsprechend dem Titel in zwei Hauptkapitel ein.
      Alltag in den Medien behandelt die Themen Reality-TV (u.a. Castingshows und "Aktenzeichen XY"), Geschlechterinszenie- rungen in Serien (u.a "Deserate Housewives" und "The L Word") und Alltagsbezüge (Realitätskonstruktion, Lebensnähe).

      Medien im Alltag befasst sich mit der Rezeption von Printmedien (Frauenzeitschriften, Männermagazine, BILD-Zeitung), digitalen Medien (Internetnutzung räumlich zu Hause, "Hello Kitty", Migrationsgemeinschaften) und schließlich der Mediennutzung von Frauen in Führungspositionen sowie von Arbeitslosen.

      Der Band ist insgesamt lesenswert, denn er betrachtet die Verwobenheit von Alltag und Medien weitgehend aus Rezipientensicht. Hat sich der Leser erst einmal durch die Einleitung durchgekämpft, die das hohe Lied der Cultural Studies anstimmt, so finden sich einige interessante Aufsätze: Zwei Beispiele: Jugendliche sehen Castingshows nicht etwa, weil sie selber von einer Star-Karriere träumen, ihnen geht es um das Thema Authentisches Selbst und die faire Behandlung. Das Internet zerstört den gemeinsamen Fernsehabend durch die räumliche Trennung von Desktop und Fernseher. Mann und Frau müssen einen neuen Modus finden, wenn er/sie oder beide abends lieber online surfen wollen.

      Mit Presseerzeugnissen befassen sich drei Beiträge, der erste behandelt Frauenzeitschriften. Leider steht hier mal wieder "Brigitte" als pars pro toto. Dem wird die "Brigitte" aber gottseidank nicht gerecht. Erkenntnisse über die Rezeption der Zeitschrift brachten 19 Tiefeninterviews bei vorgelegtem Heft. Die Ergebnisse zeigen auch: Die Lektüre von Brigitte ist in Alltagsroutinen eingebunden, teilweise erfolgt sie habitualisiert und signalgebend: "Ich will jetzt ungestört sein".
          Männermagazinen wird ein anderer Beitrag gewidmet. Gerüstet mit Bordieus Habitus-Konzept wurden 39 männliche Leser von Playboy, Matador, GQ und FHM in getrennten Gruppendiskussionen befragt, warum sie zu Männerzeitschriften greifen. Die Männer schreiben den Magazinen geringe Bedeutung zu, sie werden als Unterhaltungsmedien gelesen. Aber sie dienen auch dem Identitätsmanagement, indem sie einen explizit männlichen Raum schaffen.
          41 Frauen sowie Männer gaben in sechs Gruppendiskussionen Auskunft über ihre Lektüre der BILD-Zeitung. Kaufen und Lesen der BILD-Zeitung ist zumeist eine in tägliche Routinen eingebettete Gewohnheit. Die Zeitung ist verständlich und bietet eben auch Nutzwert und Gratifikationen; die Leser können sich an den Themen und Diskursen in der gedanklichen Beschäftigung abarbeiten. Den Lesern ist die gesellschaftliche Problematik von BILD sehr wohl bewusst. Entsprechend ambivalent sind ihre Bewertungen und Rezeptionshaltungen.

      Für Studenten oder als Lehrbuch ist dieser Sammelband weniger geeignet. Wer sich aber mit dem Rezeptionsverhalten von Medien beruflich regelmäßig befasst, findet hier anregende Sichtweisen jenseits der soziodemographisch geprägten oder auf Milieus konditionierten Mainstream-Veröffentlichungen.
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    Pohl, Manfred:
    M. DuMont Schauberg. Der Kampf um die Unabhängigkeit des Zeitungsverlags unter der NS-Diktatur
    Frankfurt a.M.: Campus Verlag 2009. 543 S., 29,90 Euro, ISBN 978-3-593-38919-6
      (do) Das Buch über die Geschichte des Hauses M. DuMont Schauberg in der NS-Zeit ist in Folge einer juristischen Auseinandersetzung entstanden. Im Jahr 2006 hatte der "Spiegel" in dem Artikel "Klüngeln im Krieg" der Kölner Verlegerfamilie unter anderem vorgeworfen, beim Kauf einiger Grundstücke Arisierungsprofite gemacht zu haben. Der vermeintliche Skandal ist inzwischen beinahe wieder vergessen. Der Spiegel wurde zu Unterlassung und Widerruf verurteilt.

      Dennoch hat Alfred Neven DuMont aus diesem Anlass den Unternehmenshistoriker Manfred Pohl engagiert, die Rolle des Verlags und seines Vaters Kurt Neven DuMont in der NS-Zeit aufzuarbeiten. Dabei ist auch ein Stück Zeitungsgeschichte ergänzt worden. Eine frühere Geschichte des Verlagshauses (von Kurt Weinhold: "Die Geschichte eines Zeitungshauses 1620-1970. Köln 1969) hatte die NS-Zeit relativ knapp abgehandelt.

      Im Mittelpunkt von Pohls Werk steht Kurt Neven DuMont (1902-1967), Sohn des Verlegers Alfred Neven DuMont (1868-1940). Ab 1927 war der promovierte Volkswirtschaftler Mitglied der Geschäftsleitung und wesentlich für die verlegerischen und politischen Entscheidungen mitverantwortlich, mit denen die Kölnische Zeitung die Entwicklung hin zur Machtergreifung Hitlers begleitet - und laut Pohl zusammen mit anderen bürgerlichen Zeitungen durchaus auch mit verschuldet. Danach wurden die Kölnische Zeitung und der Verlag in der rigiden Gleichschaltung funktionalisiert wie die übrigen Medien in Deutschland auch. Kurt Neven DuMont beugt sich im Wesentlichen den neuen Strukturen, um das Presseunternehmen mit mehreren Zeitungen und Druckerei im Besitz der Familie zu erhalten.
      1933 schrieb er in sein Tagebuch: "Der Mensch hat nur insoweit Freiheit seines Willens, als er sich von den Bindungen an Besitz und Eitelkeit frei machen kann - also gemeinhin keinen." (S.95)
      "War er ein Nazi oder nicht?" Pohl stellt diese zentrale Frage unmittelbar auf der ersten Seite und formuliert auch sonst - bei aller Differenziertheit in der Interpretation der Quellen - klare Worte. Die Analyse von Kurts Denken, wie es in Briefen, Sitzungsprotokollen und seinem Tagebuch zum Ausdruck kommt, wird als Entwicklung in drei Phasen beschrieben: vom "liberalen Geist" (1927-1933) zum "zerrissenen Charakter" (1933-1937) bis zum resignierenden Mitläufer (1937-1945) (S. 91). Im Entnazifizierungsverfahren wurde Kurt Neven DuMont 1948 entlastet. "Die Mitarbeiter, Freunde und Bekannte bezeugten eindeutig in dieser Zeit seine anti-nationalsozialistische Gesinnung." (S. 386)

      Pohls Werk - und das macht es für die Presseforschung noch interessanter - konzentriert sich jedoch nicht nur auf die handelnden Personen, sondern er hat zudem auch die Kölnische Zeitung inhaltsanalytisch auswerten lassen, um die Veränderungen in der politischen Tendenz des Blatts nachvollziehen zu können. Die Ergebnisse fließen in die Argumentation, werden allerdings nicht umfassend dargestellt. Zudem wurden - vor allem im Kapitel "Am Vorabend des Dritten Reiches" - Artikel der Kölnischen Zeitung und Beiträge aus anderen großen Zeitungen der Weimarer Zeit in ihrer Berichterstattung und Kommentierung der Nazi-Bewegung verglichen.

      Ein Buch, das einmal mehr das Versagen weiter Teile des Bildungs- und Besitzbürgertums und seiner Zeitungen gegenüber dem Nationalsozialismus dokumentiert.
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