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Zur Diskussion um tägliche Gratisblätter (I)

 

       

      Der Vorgang
      Die rechtlichen Auseinandersetzungen
      Die Anfänge
      Positionen und Meinungen

      Schwerpunkt "Gratiszeitungen" in Media Perspektiven, Oktober 2006

       

      Der Vorgang

        In Köln erschienen von Dezember 1999 bis Juli 2001 montags bis freitags morgens drei kostenlose Tageszeigungen: 20 Minuten Köln der norwegischen Schibstedt AG, sodann Köln Extra in der "extra medien GmbH" des Axel Springer Verlages, und schließlich der Kölner Morgen aus dem Verlag DuMont Schauberg. Sie hatten eine tägliche Auflage von je 100.000 bis 150.000 Exemplaren und Umfänge von ca. 24 Seiten. Sie wendeten sich an junge Zielgruppen, die nach Äusserungen aus der Mediabranche durch die Tagespresse nicht in gleichem Maße erreicht würden. Die Distribution geschah überwiegend durch Auslagekästen an verkehrsreichen Stellen im Stadtgebiet, weitere Vertriebwege waren in Vorbereitung. Schibsted setzte zudem auch auf elektronische Angebote via Internet und Handy. Köln war das Versuchslabor für die bundesweite Einführung kostenloser Tageszeitungen in Ballungsräumen. Zwischen Schibsted und Springer gab es Kooperationsgespräche, sie verliefen ergebnislos. Die Einstellung im Juli 2001 geschah für die Branche überraschend. Anfang 2002 wollte Schibsted 20 Minuten erneut in mehreren deutschen Metropolen einführen, die Deutschlandzentrale und die Produktion des Mantels sollte in Berlin angesiedelt werden. Anvisiert wurden Ausgaben in Hamburg, Berlin, Frankfurt, München, Düsseldorf und Stuttgart. Doch nichts geschah. Dann war Ruhe bis zum Jahr 2005. Erneut brodelte die Gerüchteküche und tatsächlich wurden erneut viele Gespräche von Metro und Schibstedt mit deutschen Verlagen geführt. Die Herausgeber von Boulevardzeitungen in Deutschland rüsteten sich wiederum für Abwehrmaßnahmen. Der September 2005 galt als Startzeitpunkt. Wiederum geschah nichts. Doch abgewendet ist das Thema damit nicht. Denn Deutschland ist inzwischen von Staaten umgeben, in denen werktäglich Gratiszeitungen erscheinen. Sie sind damit eine europäische Medienrealität und werden daher auch in Deutschland Einzug halten. Fragt sich nur, wann und wo?

         

      Der Rechtsstreit

        Bereits am 17. Dezember 1999 wurde Schibstedt auf Antrag des Axel Springer Verlags vom zuständigen Landgericht Berlin mit wettbewerbsrechtlicher Begründung die kostenlose Verteilung "eines montags bis freitags erscheinenden Presseerzeugnisses mit einem Inhalt wie und in der Aufmachung einer Tageszeitung mit überregionalen und regionalen Nachrichten" untersagt. Auch das Erscheinen des Blattes mit dem Aufdruck "kostenlose Probeausgabe" wurde auf Springer-Antrag per Verfügung des Landgerichts Berlin am 23. Dezember verboten. Diese Entscheidung hob das Berliner Kammergericht am 11. Februar wieder auf. Das Gericht verwies in seiner Urteilsbegründung darauf, dass die Auflageneinbußen bei BILD Köln noch keine nachhaltige Schädigung des Pressevertriebsmarktes sei. "20 Minuten Köln" wird daher seit 14. Februar erneut kostenlos abgegeben. Im Juni 2000 entschied das Oberlandesgericht Köln, der Verlag DuMont-Schauberg habe "den notwendigen Nachweis einer Vernichtungskampagne nicht erbracht".
        Die etablierten Verlage stuften kostenlose vollwertige Tageszeitungen weiterhin als wettbewerbswidrig ein und riefen den Bundesgerichtshof an, um doch noch ein Verbot zu erwirken. Im November 2003 entschied der Bundesgerichtshof, vollwertige Gratis-Tageszeitungen seien gegenwärtig mit geltendem Recht vereinbar (BGH I ZR 151/01).

         

      Die Anfänge

        Am 16. Oktober 1998 wurde in Berlin erstmals das Presseerzeugnis "15 Uhr Aktuell" werktäglich kostenlos an Passanten verteilt. Mitinvestor dieses Projektes der beiden verlagsunerfahrenen Gründer Michael Bielski und Robert Sidor ist die HBVG, eine 100-prozentige Tochter der Hypo-Vereinsbank. Ab 19. April 1999 erschien eine eigene Hamburger Ausgabe des Blattes. Ab Herbst 1999 wurde zudem in München eine weitere Ausgabe werktäglich verteilt. Nachdem die Investitionssumme von 20 Millionen DM aufgebraucht war und bei einer verbreiteten Auflage von 250.000 Exemplaren nur monatliche Anzeigenumsätze von etwa 300.000 DM erzielt wurden, blieben Beteiligungsgespräche mit der Schibsted-Verlagsgruppe ergebnislos. Am 22. Februar 2000 stellte die "15 Uhr Aktuell GmbH" vor dem Berliner Konkursgericht einen Insolvenzantrag, zugleich erschienen die Blätter zum letzten Mal.

        Vom 13.12.1999 bis zum 11.07.2001 wurde in Köln morgens das 24-seitige Blatt 20 Minuten Köln in etwa 150.000 Exemplaren kostenlos verteilt. Verleger war die Schibsted AG, Berlin, der gleichnamigen norwegischen Verlagsgruppe (5.500 Beschäftigte). Als Abwehrreaktion brachte der Axel-Springer-Verlag am 16. 12.1999 das Gratisblatt Köln Extra (24 Seiten, 100.000 Exemplare) und der Verlag DuMont Schauberg zunächst eine abgespeckte Express-Leseprobe (12 Seiten, 150.000 Exemplare) und seit 14.02.2000 das Gratisblatt Kölner Morgen (24 Seiten, 100.000 Exemplare) heraus.

         

      Positionen und Meinungen

        Adolf Theobald
        "Verleger auf dem Strich - die Gratis-Zeitungen bedrohen die Qualität der Presse.
        (...) Wenn Journalismus nichts mehr kostet, ist er auch nichts wert. Da helfen auch keine seriös erscheinenden Alibiversuche. Die Lust, für Inserenten statt für Leser zu schreiben, wird schließlich von Betriebswirten geweckt, nicht von Journalisten. (...)"

        (Süddeutsche Zeitung, 14.12.1999)

        Walter J. Schütz
        "Auch bei der zweiten Neugründung '15 Uhr Aktuell' stellt sich die Frage, ob sie zu den Zeitungen zu zählen ist. Es besteht kein Zweifel, dass sie alle traditionellen Kriterien erfüllt. Ein zusätzliches weiteres Zeitungsmerkmal, nämlich 'Vertrieb gegen Entgelt', das man in die Diskussion (...) eingeführt hat, ist in der Vergangenheit nicht gefordert oder überhaupt nur diskutiert worden. (...) Ein Grund, die Neugründung '15 Uhr Aktuell' aus einer Liste der deutschen Tageszeitungen fernzuhalten, ist nicht erkennbar; sie aber statistisch gesondert zu behandeln, ist durch den ihr eigenen Vertriebsweg gerechtfertigt."
        (Media Perspektiven 1/2000, S. 18)

         

      Schwerpunkt "Gratiszeitungen" in Media Perspektiven, Oktober 2006

 
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März 2008